Redaktionsbesuch Annette Widmann-Mauz bei der HZ
Der junge Mann aus Marokko war halt doch nicht so jung, wie er hartnäckig behauptet hatte. Nicht 17 Jahre und neun Monate war er alt, als er Asyl beantragte, sondern schon knapp 21. Also komplett volljährig. Schön, dass dies die Ausländerbehörde ermittelt hat. Weniger schön für den Betroffenen, der liebend gern als sogenannter Uma, ein unbegleiteter, minderjähriger Ausländer, durchgegangen wäre. Seine Zukunft nämlich ist nun leidlich ungewiss. Er hat zwar eine Arbeitsstelle, spricht gut Deutsch und gilt als Beispiel für gelingende Integration – aber de facto hat er kein Recht auf Anerkennung als Flüchtling. Allein deshalb, weil er nicht direkt in die Bundesrepublik gereist ist, sondern erst in der Türkei war und dann für viel Geld mit Schlepper-Hilfe hierher kam. Abgeschoben werden kann er allerdings auch nicht. Er hat nachgewiesen, dass ihm in der alten Heimat wegen einer Familienfehde der Tod droht. Bleibt der junge Nordafrikaner allerdings in Deutschland, muss er zahlen: seinen Sprachkurs, ebenso den Integrationskurs. Da kommt was zusammen.
Der Fall des Marokkaners ist einer von vielen. Besonders an ihm ist, dass der Mann im Wahlkreis von Staatsministerin Annette Widmann-Mauz lebt. An die CDU-Politikerin, die seit einem Jahr Integrationsbeauftragte der Bundesregierung ist, hat sich hilfesuchend der Arbeitgeber des Nordafrikaners gewandt: Der Flüchtling soll bleiben können, er braucht ihn in der Firma. Annette Widmann-Mauz hat einen Kompromiss vorgeschlagen: Der junge Mann soll im Rahmen einer Privatinsolvenz seine Schulden abstottern.
Beim Besuch in der HZ-Redaktion war die verzwickte Sache noch nicht endgültig gelöst. Der Fall dient der direkt gewählten Abgeordneten des Wahlkreises Tübingen-Hechingen allerdings trefflich zur Schilderung ihrer Berliner Arbeit: Was für den einen aus dem Wahlkreis gilt, das geht hunderttausende Menschen mit ausländischen Wurzeln an.
Wie waren die ersten zwölf Monate für die Politikerin, die mit dem Start der neuen großen Koalition das Ressort gewechselt hat und von der Staatssekretärin im Gesundheitsministerium zur Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration geworden ist? „Das eine Jahr ging rum wie nix“, sagt Annette Widmann-Mauz. Bevor die nächste Frage überhaupt gestellt ist, folgt schon die Antwort: „Wir sind alle im Arbeitsmodus.“ Ein Außenstehender würde sagen: Es wird endlich geschafft in der Regierung. In der Tat ist es insbesondere um das Thema Flüchtlinge auffallend ruhig geworden. Weil Innenminister Horst Seehofer seit der Bayernwahl handzahm geworden ist? Die Christdemokratin überhört diese Frage geflissentlich.
Statt dessen schaltet sie aufs ganz Aktuelle um: Nach dem Besuch bei der HZ am Obertorplatz ging es ziemlich flott wieder auf den Flughafen, um am Mittwochmorgen im Kanzleramt am Tisch des Bundeskabinetts zu sein. Das hat, man ist tatsächlich voll im Arbeitsprozess, gleich zwei Gesetzesvorlagen zur Flüchtlingspolitik präsentiert: Das Innenministerium will effektiver abschieben können (Geordnete-Rückkehr-Gesetz), das Arbeitsministerium von Hubertus Heil hat das „Ausländerbeschäftigungs-Fördergesetz“ auf den Weg gebracht. Mit Kommentaren zur Arbeit des CSU- und des SPD-Kollegen war Annette Widmann-Mauz am Mittwoch eine gefragte Interviewpartnerin der Hauptstadtmedien. Die Integrationsbeauftragte wiederholte das, was sie tags zuvor schon im Hohenzollerischen verkündet hatte: Die Gesetzesentwürfe gehen in Ordnung, weil sie den Kern der Probleme treffen. Nur hier und da sollte nach Meinung der CDU-Fachfrau nachgebessert werden.
Annette Widmann-Mauz erklärt die zwei Seiten der Medaille, auf der „Flüchtlingspolitik“ steht: Es braucht die ordnende Hand und gleichzeitig die fördernde Sicht. Also das Fördern und das Fordern. Wer Schutz braucht, soll Schutz bekommen. Daran will die Christdemokratin keinen Zweifel aufkommen lassen. Das bedingt für sie in der Folge aber genauso, dass alle ohne Schutzanspruch Deutschland zügig wieder verlassen. Wer hierbleibt, von dem wird Mitwirkung erwartet und eingefordert, wenn sie nicht von allein kommt. Gefördert werden sollen diese Menschen unbedingt. Sie sollen Zugang zu Arbeit, Sprache und den gesellschaftlichen Werten bekommen. Allerdings soll dies aus Sicht der Integrationsbeauftragten sehr wohl auch gelten für die Geduldeten, also die, die nicht abgeschoben werden können, und die Gestatteten mit noch offener Bleibeperspektive. Je schneller und effektiver Sprach- und Integrationskurse beginnen, desto besser für alle Beteiligten. Man habe schließlich dazugelernt, sagt Annette Widmann-Mauz. Nachbesserungsbedarf sieht sie in diesem Sinne vor allem beim Arbeitsminister. Die Bundesregierung dürfe nicht die vielen Geduldeten aus dem Blick verlieren, die schon länger in Deutschland leben.
Integration bringt was, darüber lässt die dafür Beauftragte nicht mit sich diskutieren: Sie erhöht die Akzeptanz der Zuwanderer, aber sie lässt auch die Staatskasse klingeln. Von den Flüchtlingen, die 2015 und 2016 nach Deutschland geströmt waren, sind inzwischen gut 400 000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. „Das ist mehr, als wir erwarten konnten“, sagt die CDU-Expertin. Weitere knapp 40 000 Menschen sind in Ausbildung – in Betrieben, die händeringend nach Lehrlingen suchen. Viele hätten also gute Chancen. Aber halt: Die Problemfälle dürfe man trotzdem nicht ignorieren. Dafür ist wiederum das Innenministerium zuständig.
Nach einem Jahr tun sich also bessere Perspektiven auf. Diese neue Lage kam freilich nicht einfach so. Annette Widmann-Mauz: „Es war und ist ein Kampf zu überzeugen, dass in Integration investiert werden muss.“ Dazu zählt für sie ebenfalls, dass den vielen ehrenamtlichen Helfern, zum Beispiel dem Hechinger Arbeitskreis Asyl, noch mehr der Rücken gestärkt werden muss. Ein weiteres Arbeitsfeld für die Integrationspolitik und die Staatsministerin sind die EU-Migranten aus Polen, Rumänien und Bulgarien. „Die dürfen nicht vergessen werden“, warnt Widmann-Mauz.
Viel zu tun also auch weiterhin für die Staatsministerin und ihr Team. Das ist so klein nicht. Aktuell besteht es aus 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sieben Referaten.